Nicht unoft bekomme ich E-Mails mit erheiternden Links zu Seiten, wo Amateure ihre Schreibkünste anbieten in einer Form, die in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu den angepriesenen Fähigkeiten steht.
So auch hier, von einem gruseligen Freiberufler-Jobportal:
Ich biete meine Dienste als verfasser von Texten aus den unterschiedlichsten Themengebieten. Als Betreiber eines mittelgrossen Blogs bringe ich die nötige Routine und Lockerheit in meine verfassten Texte. Mit einem guten Preis – Leistungsverhältniss strebe ich nach Ihrer maximalen Zufriedenheit. Falls dies mal nicht der Fall sein sollte, so bin ich jederzeit bereit entsprechende Korrekturen in meinen Texten vorzunehmen. Vorab ein kleiner Leitfaden zu meiner Preisvorstellung: […] Bei Interesse oder allfälligen Fragen kontaktieren Sie mich für eine unverbindliche Offerte.
In der Hoffnung auf weitere Stilblüten dieser Art joggte ich ein bißchen auf diesem Jobportal herum und fand dort unter anderem ganz erstaunliche Angebote — wie zum Beispiel von einem Gaming-Portal, die Leute suchen für das Abkupfern Umformulieren von Newstexten mit einer Entlohnung, die mich an alle Hartz-IV-Witze erinnert, die ich je gehört habe:
wir suchen zurzeit Newsschreiber. Die News werden vorgegeben und müssen umgeschrieben werden, dann über einer Adminfunktion online gestellt. Genau so ist es auch bei den Reviews, Screens und Videos. Bei den Downloads, müssen Sachen hocgeladen werden. Es wäre ein Vorteil, dass man sich mit Adobe Photoshop ein wenig auskennt. ( Es reichen auch Adobe Photoshop anfänger ). Am Tag müssen mindestesn 10 news etc. online gestellt werden! Nun zur Bezahlung: Pro geschriebene News bekommt Ihr 10 Cent
Nicht gefaßt war ich aber auf die gesunde und florierende Angebotsstruktur, nicht bloß in diesem, sondern auch in anderen Portalen, bei Entlohnungen zwischen 30 und 70 ct pro Beitrag, hinsichtlich des Verfassens von:
- Blogeinträgen für das Blog des Anbieters;
- Blogkommentaren im Blog des Anbieters;
- wohlwollenden Einträgen über das Blog des Anbieters im eigenen Blog;
- wohlwollenden Kommentaren über das Blog des Anbieters in Fremdblogs.
Und das mit möglichst hoher Taktfrequenz. Da dies in der Regel als Minimum auf mehrere Hundert Euro pro Monat herausläuft, geht es sicherlich nicht um LOLcat-Kompendien oder das Fanblog des Gitarrenquintetts Oberbilk-Nord.
Trotzdem natürlich nur kleine Fische. Aber ich frage mich ernsthaft, wieviel Ghostwriting, Ghostcommenting und Ghostpromoting bei Corporate Blogs wohl im Spiel sind? Hier geht es sicherlich um ganz andere Summen. Eigentlich natürlich auch um den Ruf eines Unternehmens, den ein Corporate Blog ja gerade aufbauen, verändern oder zementieren soll — aber wir wissen ja aus farbenfroher Erfahrung, daß Unternehmen generell glauben, irgendwie mit allem durchzukommen, von getürkten Blogs bis zum Auslösen weltweiter Wirtschaftskrisen.
Apropos Ghostwriting: Kürzlich las ich Mark Libermans exzellenten Artikel Plagiarism and restrictions on delegated agency auf Language Log über Ghostwriting, Redenschreiben, akademisches Plagiieren und die berechtigte Frage, warum es uns als völlig normal und in Ordnung erscheint, daß Politiker von dem, was sie sagen oder schreiben, kein Wort selbst verfassen, wir dasselbe aber bei Studierenden oder generell in der Akademia reflexartig als Betrug und intellektuellen Ausverkauf empfinden.
Ich frage mich, wie dies im Bereich Corporate Blogs empfunden wird — wenn zum Beispiel Leute aus Vorstand oder Geschäftsführung ein Blog führen, die Einträge aber tatsächlich von anderen verfaßt werden oder aus der Spin PR-Abteilung kommen. Wie hoch ist hier unsere Toleranz — eher in Richtung Politik oder eher in Richtung Akademia?
Alle Einträge zum Thema Blogsöldner.
If you have something valuable to add or some interesting point to discuss, I’ll be looking forward to meeting you at Mastodon!
Neulich las ich in einem Mitarbeitermagazin einer großen internationalen Firma, das ich für eine PR-Agentur regelmäßig lektoriere, dass der Belegschaft die Corporate Social Responsibility ihres Unternehmens ausgesprochen wichtig ist (80 % gaben diesen Punkt in einer Mitarbeiterumfrage als Priorität an), insbesondere las ich, dass sie die Möglichkeiten loben, hier selbst Einfluss nehmen zu können. Natürlich beschloss das Management sofort, dass dem Rechnung getragen werden muss.
Im anschließend Telefonat mit dem Redakteur der Agentur erfuhr ich dann Folgendes: Weil es allen Unternehmensangehörigen ja persönlich so wichtig ist, sich dieses Themas anzunehmen und es mitzugestalten, soll nun weder das Management noch die Mitarbeiter, sondern die Agentur über geeignete soziale Maßnahmen bestimmen.
Das ist dann wohl die Steigerung. Die Agentur schreibt sich in die Strukturen der Firma ein und feiert sie dann auch noch nach außen. Corporate Social Responsibility mal anders.
Finde ich schwer zu beurteilen. Seit vor einigen Jahren PR-Arbeit für einen Marktführer im B2B-Bereich eine Weile lang an meinen Händen klebenblieb, fühlen sie sich, nun ja, immer noch etwas klebrig an. Von daher neigte ich in diesem Fall zu einem ähnlich trüben Blicke. Auf der anderen Seite, Resultate zählen (wo hab ich das nur schon mal gehört?), und vielleicht kommt ja tatsächlich mehr dabei raus, als wenn solche Maßnahmen wirklich in-house entwickelt würden. Auf die Gefahr hin, mir auf dem Hintergrund dieser und ähnlicher Kommunikationsmaßnahmen in die eigene Tasche zu argumentieren: Wenn die Mitarbeiter es machen sollten, wären sie wahrscheinlich in mehrfacher Hinsicht überfordert und/oder gehemmt (Ressourcen; Erfahrung; Corporate Hierarchies etc.), und eine Unternehmensleitung, die die Corporate Social Responsibility auslagert an ihre PR-Agentur, liefert ja genau damit den schlagenden Beweis, daß es für alle Beteiligten in der Tat am besten ist, wenn sie selbst die Finger davon läßt!
Ganz so locker sehe ich das in Wirklichkeit natürlich nicht. Halt mich mal auf dem laufenden, was dabei rauskommt. Auch einen Gastbeitrag zu den Resultaten — von »alles groovy!« bis »Here come Teh Corporate Evil™« — würde ich zu schätzen wissen! :-)