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Inside the Box

brand meets world

brand meets world

Als ich im kürzlich erwähnten Blauen Büchlein ein Stückchen weiterblätterte, stieß ich wieder auf den Ratschlag to think inside the box. Das hatte mich schon vor zwei oder drei Jahren fasziniert, als ich das Büchlein zum ersten Mal las, und es hat seinen Reiz keineswegs verloren. Ganz im Gegenteil.

Die Idee in diesem Buch ist folgende (in meinen Worten). Die Schlagwörter von »neuem Marketing« und »Paradigmenwechsel in der Werbung« sind im wesentlichen heiße Luft. Statt dessen gibt es neue Wege, um die Zielgruppe zu erreichen: neue Medien und neue Techniken, Menschen herauszuwinken und zum Beworbenen zu leiten. Aber die Motivationen, warum Leute etwas kaufen, haben sich nicht verändert, seit frau das Rad erfunden hat.

Jein.

Auf der einen Seite. Marshall McLuhan gelesen zu haben, hilft. Elisabeth Eisensteins monumentales The Printing Press as an Agent of Change gelesen zu haben, hilft auch. Ich denke schon, daß die Medienrevolution, die allmählich Fahrt aufnimmt (ja, all das ist erst der Anfang!), unser Leben auf einer so elementaren Ebene verändert, daß auch unsere Motivationen sich verändern hinsichtlich der Gründe, warum wir etwas wollen und warum wir etwas kaufen. Neue Wege zur Bildung neuartiger sozialer Gruppen und immer prekärere Zielgruppenbestimmungen gehören ebenfalls in diesen Rahmen.

Auf der anderen Seite. Aber das alles in Grenzen und graduell. Denn die etwa ein Dutzend grundlegenden Triebfedern im Bereich »Was Menschen wollen« wie bessere Gesundheit, mehr Geld, höheres Ansehen und all die anderen — die ich jetzt nicht aufzählen muß, weil Mitglieder der werbetextenden Zunft sie ohnehin in Sicht- oder Klickreichweite haben — bleiben sicherlich intakt. Seit Lisa im Jungpaläolithikum eine neue und verbesserte Steinspitze für ihren Jagdspeer haben wollte, hat sich da nicht viel verändert.

Weiter auf der anderen Seite. Und sehr wenig hat sich auch getan hinsichtlich der Art von Geschichten, die wir uns erzählen, und das Erzählen von Geschichten ist es, um daß es letztendlich in der Werbung geht. Es gibt diverse Theorien von der Sorte »Es gibt nur (3, 7, 12 …) Typen von Geschichten auf der Welt«, aber zum einen schwankt die Anzahl der gefundenen “basic types” dramatisch mit der jeweilig zugrundegelegten Definition von “story”, zum anderen haben die jeweils gefundenen Mengen gerne maximal verdächtige Mitgliederzahlen wie 3, 7 oder 12 — Zahlen, die höchstselbst (und hier auf rekursive Weise) bereits Teil von mächtigen Geschichten sind, die wir uns erzählen. Aber aus einem keineswegs unendlich tiefen »Story-Pool« schöpfen wir wohl schon — angefangen mit Joshua oder Judith über Penthesileia oder Achilles bis Ellen Ripley oder Thomas A. Anderson brauchen wir keine zeithistorische Einführung, um zu verstehen, warum diese Menschen das tun, was sie tun. Und die von Hayden White herausgearbeiteten Grundgerüste (Romanze, Komödie, Tragödie, Farce) und die korrespondierenden elementaren rhetorischen Figuren (Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie) scheinen uns ebenfalls konstant zu begleiten, seit wir damit begonnen haben, uns Geschichten erzählen.

Auf der einen Seite wiederum. »Genres« bzw. »Gattungen« jedoch haben sich historisch ganz enorm verändert. Ich kann und sollte an dieser Stelle nicht in die Tiefe gehen, aber die Identifizierung der Gattung bestimmt sehr stark, wie wir Geschichten verstehen. Das geht so weit, daß wir einen großen Teil mittelalterlicher Literatur zwar genießen, aber nicht wirklich verstehen, weil wir nicht die geringste Idee haben, welcher Gattung diese Texte angehören, wer sie wem in welcher Form erzählte und mit welcher Absicht.

Trotz der erwähnten Einschränkungen hinsichtlich Medien, Zielgruppen und Gattungen, unter anderem, ist die Menge der Konstanten aber ausgesprochen groß. Und das Beste ist, hey, all diese Konstanten sind ja IN der Box, nicht außerhalb! Gleich unter unseren Fingerspitzen! Andererseits, vielleicht ist das so toll ja gar nicht. Denn viel bequemer, als in diesem monumentalen Korpus innerhalb der Box zu recherchieren nach jeweils geeigneten Geschichten und Strategien, die nachweislich funktionieren, ist es doch, mit den Gedanken außerhalb der Box zu schweifen und darauf zu warten, daß die Lösung durch das Fenster kommt.

Seit ich den Absatz schrieb über »Es gibt nur (3, 7, 12 …) Geschichten auf der Welt«, kriege ich die folgenden Klassiker nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht gelingt mir dies, wenn ich andere mit diesen Mem-Varianten infiziere:

  • You see, in this world there’s two kinds of people my friend. Those who have loaded guns… and those who dig. You dig.
  • There are 10 kinds of people in the world. Those who dig binary code… and those who don’t.
  • There are 10 kinds of people in the world. Those who dig ternary code, those who don’t… and those who mistake it for binary code.
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