a writer's blog

Das Trojanische Pferd des Sammelns

Tucson Boneyard

Tucson Boneyard

Auch bei Produkten, die keine Sammlerartikel sind, läßt sich der Sammeltrieb ausnutzen: für modulare Produkte, aber auch bei den Produktinformationen selbst.

Studienbegleitend hatte ich beim Avis– und späteren Avis/Reviermarkt-Verlag gearbeitet als Verantwortlicher für den privaten Kleinanzeigenteil von Avis Rheinland und später auch für Avis Niederrhein, für die Printausgaben und gegen Ende meines Studiums dann auch für den brandneuen Online-Teil, die letzten Jahre meiner Tätigkeit zusätzlich gewürzt und gepfeffert durch die Wahl in den brandneuen zentralisierten Bochumer Betriebsrat.

Bei all den Informationen über die Produkte dieser Welt, die ich mir im Rahmen meiner Tätigkeit anzueignen hatte, erschien mir der Komplex »Sammelartikel« stets der rätselhafteste. Auch den Büchern zum Thema »Sammeln« aus philosophischer oder historischer Sicht, in die ich hineinsah, fehlte stets eine nachvollziehbare Erklärungskraft. Das Verständnis für diese Mischung aus ehrfurchtsvoller Hingabe und titanischer Sinnlosigkeit geht mir ebenso ab wie der weltumspannende Trieb, kontemporär Unerklärliches unter Zuhilfenahme des gänzlich Phantastischen zu erklären.

Unterm Strich jedoch bot sich mir ein Bild des Sammeltriebes als eine starke, oft unwiderstehliche und generell handlungsaktivierende Kraft, die trotz ihrer sicherlich aus nachvollziehbaren Gründen evolvierten Herkunft zum momentanen Stand der Menschheit zutiefst irrational erscheint. (Jenseits konkreter Wertanlagen in hochpreisige und anerkannte Sammlerstücke erscheint das Argument des »Wertzuwachses« einer Sammlung von Bierfilzen und Briefmarken bis zu Spielzeugtrucks und Barbiepuppen nahezu unmißverständlich als Rationalisierung; unter den erzielten Verkaufspreisen der zahllosen »Sammlungsauflösungen«, die während meiner Arbeit für Avis Rheinland als Kleinanzeigen aufgegeben wurden, war nicht eine einzige, die auch nur annähernd im Verhältnis zur Investition ins Sammelgut gestanden hätte.)

Handlungsaktivierende, irrational erscheinende Triebe aber sind ein ideales Ziel für subliminale Werbebotschaften, ein Trojanisches Pferd ins Unterbewußtsein derer, die zur Zielgruppe eines Produkts gehören, und das versuche ich konzeptionell auszunutzen, wo es möglich ist. Wo es ethisch möglich ist, sollte ich hinzufügen — ich sehe nichts Anrüchiges darin, ehrliche Produktbeschreibungen und gute und sinnvolle Gründe zum Kauf mit zusätzlichen, auf das Unterbewußtsein zielenden Signalen anzureichern.1

Dies kann auf verschiedene Weise geschehen und ist abhängig von Produkt, Medium, Botschaft und Layout: Um den Sammeltrieb für Produkte auszunutzen, die keine Sammelartikel sind, gibt es kein Rezept. (Für Marketing- und Werbestrategien hinsichtlich tatsächlicher Sammelartikel gibt es dagegen selbstverständlich Rezepte, auf die sich aufbauen läßt.) Zu meinen Ansätzen gehört, modulare Produkte so »physisch« wie möglich darzustellen und unterbewußt den Eindruck einer sammelfähigen »Serie« zu erwecken — unabhängig davon, was das Produkt tatsächlich ist, tut oder kostet, B2C oder B2B (mein Rekord war bislang, glaube ich, die sammeltriebfördernde Aufbereitung eines mehrteiligen technischen Laborproduktes mit einem Verkaufspreis von knapp 120.000 €). Wenn das Produkt nicht mehrteilig ist, aber die Informationen dazu komplex, versuche ich statt dessen, Informationspäckchen als »Sammelbausteine« zu erstellen, wiederum mit einer starken »physischen« Komponente, um den Sammeltrieb für die Aufnahme von Produktinformationen auszunutzen.

Und da ich es entgegen deutscher Agenturgepflogenheiten2 liebe, sehr eng und von Anfang an mit den jeweiligen verantwortlichen kreativen Köpfen aus der Art Direction zusammenzuarbeiten, dürfen sich diese sammeltriebbasierten Strategien auch über visualisierenden kreativen Input und enthusiastische illustrative Unterstützung freuen, ohne die das alles überhaupt nicht machbar wäre.

1 Etwas Anrüchiges darin zu sehen würde die dubiose Prämisse mit sich ziehen, daß Kaufentscheidungen generell oder auch nur zum größten Teil aus vollständig bewußten Gründen getroffen werden. 
2 Einschlägige Zitate seitens der deutschen Werberelite zu diesem Thema werden in Bälde in der Unruhmeshalle zu bewundern sein. 
Share

If you have something valuable to add or some interesting point to discuss, I’ll be looking forward to meeting you at Mastodon!

Tagged as: ,

1 Response

Trackbacks

  1. between drafts | Die Macht des Textes (Revisited)