Immer mehr Menschen erleiden aufgrund ihres hart erworbenen Doktortitels Schiffbruch – egal ob durch Aberkennung oder bei der erschwerten Jobsuche. Plagiatsaffären lassen den Ruf des so prestigeträchtigen Doktortitels in Deutschland immer weiter sinken. Kaum steht ein Titelträger in den Zeitungen unseres Landes, geht auch schon die Jagd auf Fehler in seiner Dissertation los. Ist der Doktortitel überhaupt noch seine Arbeit wert oder ein unkalkulierbarer Stolperstein in der Karriere? Und wieso überhaupt gibt es so viele plagiatsverseuchte Doktorarbeiten?
»Dr. Fluch« oder »Dr. Segen«?
Schiffbruch mit Doktortitel
Ein Gastbeitrag von Carolin Schwarzmann
Zwei kleine Buchstaben machen großen Eindruck und sichern einem den Respekt des Gegenübers: »Dr.«.
“Trust me. I’m a doctor.”
Oh ja, einem Doktor dem kann man trauen. Er hat ja schließlich studiert und anschließend sogar noch promoviert. Er weiß, wovon er redet, ist intelligent und kennt sich aus.
Auch heute noch bringt der Doktortitel vor dem eigenen Namen viel Ansehen. Die zwei kleinen Buchstaben adeln den Menschen, der dahinter steht.
Aber es gibt auch eine Schattenseite:
Dr. Karl-Theodor zu Guttenberg. Dr. Annette Schavan. Dr. Pál Schmitt.
Sie alle mussten aufgrund von Täuschungen in ihren Dissertationen nicht nur ihren Doktorhut abgeben, sondern anschließend auch noch ihren politischen Posten. Und schon war sie vorbei, die große verheißungsvolle Karriere in der Politik.
Plagiatsvorwürfe nehmen immer mehr zu. Ständig hört man in den Medien, dass diesem oder jenem Politiker vorgeworfen wird, er hätte doch seine Doktorarbeit nur abgeschrieben. Das schadet natürlich auch dem Ruf und der Glaubwürdigkeit des Doktortitels im Allgemeinen.
Was bringt also überhaupt noch ein Doktortitel innerhalb der “Generation Copy & Paste”?
Abgesehen von den durchschnittlich fünf Jahren Arbeit hinter dem Schreibtisch und ca. 60.000 €, die dem Schreiber in der Zeit durch die Lappen gehen, kostet die Doktorarbeit auch noch unzählige Nerven. Anschließend strahlt der Glanz der Doktorarbeit natürlich, aber hilft das tatsächlich bei der Karriere?
In Deutschland gibt es viel mehr Promotionen als in anderen Ländern. Sind die Deutschen so strebsam? Das Land der Dichter und Denker? Gerade in medizinischen und naturwissenschaftlichen Studienfächern schreiben hierzulande bis zu 70 % (!) der Absolventen anschließend auch gleich ihre Dissertation. Daher kommt es in diesen Studienrichtungen immer mehr zu anspruchslosen Doktorarbeiten. Sie gehört ja schon quasi zum Studium dazu und es so entstehen immer mehr Türschildpromotionen. In diesen Bereichen – Medizin, Chemie, Physik, Biologie – hilft der Doktortitel aber wenigstens tatsächlich noch bei der anschließenden Jobsuche.
Allerdings ist das schon lange nicht mehr bei allen Studienbereichen der Fall.
Ein Doktortitel im Marketing? Als Dozent an Universitäten oder Hochschule gilt ein Titel oft als Vorrausetzung. Aber in der freien Wirtschaft? Ist der Bewerber dann nicht viel zu theoretisch veranlagt, intellektuell und vielleicht sogar überqualifiziert? Außerdem zählt heute mehr als je zuvor Praxiserfahrung beim Einstieg in den Job. Personaler sortieren Bewerbungen ohne solche Vorkenntnisse meist schon vor Bewerbungsgesprächen aus. Während man seine Dissertation schreibt, bleibt aber für Praxiserfahrungen meist leider zu wenig Zeit. Es zählen Fertigkeiten, keine Titel. Außerdem ist ein Jobeinsteiger mit Doktortitel nicht mehr so formbar. Nicht zuletzt aus diesen Gründen verschweigen einige Bewerber ihren zuvor so hart erworbenen Doktortitel.
Gerade im Bereich der Sozial- und Geisteswissenschaften kann der Titel eher einen Stolperstein als einen Karrierebeschleuniger darstellen. Als ersten Job erhalten promovierte Berufseinsteiger dort meist eine befristete und schlecht bezahlte Stelle. Einen typischen Einstiegsjob, den man auch ohne Dissertation bekommen würde. Man könnte auch sagen: Weit unter dem akademischen Niveau, denn wer braucht für so einen Job schon einen Doktor?
Der Doktortitel sorgt für viel Prestige, aber leider noch lange nicht für einen guten Job oder finanzielle Sicherheit. Da läuft doch mächtig was falsch hier in Deutschland!
In den USA ist es schwerer einen mit dem deutschen Doktor vergleichbaren Titel – den Ph.D. – zu erlangen und trotzdem ist er weniger angesehen. Dort schmückt sich niemand mit den zwei kleinen Buchstaben vor seinem Namen. Amerikanische Professoren unterschreiben ihre Briefe nicht mit »Dr.« und mit »Mr. Doctor« wird dort auch niemand angesprochen. Es ist kein Ehrenabzeichen wie hier in Deutschland. In den USA belegt der Ph.D. die Lehr- und Forschungsreife des Titelträgers, in Deutschland will man sich selbst adeln, um seinen Status zu markieren.
Schockierend auch das inflationäre Ansteigen der Bestnote „summa cum laude“, welche schon jede zweite Doktorarbeit in den Wirtschaftswissenschaften an neun deutschen Universitäten erreicht, wie es aus dem neuen »Informationssystem Promotionsnoten« hervorgeht. Fachübergreifend sind »summa cum laude«-Promotionen innerhalb von acht Jahren von 12 % auf 16 % gestiegen und im Fach Psychologie ist sogar ein Anstieg von 17 % auf 25 % zu verzeichnen.
Aufgrund all der Entwicklungen wird in Deutschland der Wunsch nach Graduiertenkollegs immer größer. Dort sollen Doktoranden besser betreut werden als an Universitäten. Sie werden dort in ein Forschungsprogramm integriert und sollen Kurse belegen, welche über ihre Fachspezialisierung hinausgehen. Insgesamt ein Fünftel aller Doktoranden arbeitet mittlerweile in solchen Promotionsprogrammen. Sie bekommen eine bessere Betreuung, haben mehr Unterstützung und Rückhalt.
Dies ist sinnvoll, damit sich Doktortitel auch noch nach den medienstarken Plagiatsskandalen als wertvolles Markenzeichen etablieren können. Um dies weiterhin zu fördern, ist es für Universitäten unumgänglich, mehr Verantwortung für den Prozess der Promovierung zu übernehmen. Natürlich ist jeder Schreiber selbst verantwortlich für seine Täuschungen und die Verantwortung kann auch nicht an die Universitäten abgegeben werden. Jedoch sollte eine bessere Betreuung dafür sorgen, dass Plagiaten vorgebeugt wird.
Der Doktortitel sollte sich wieder mehr an sinnvollen Funktionen orientieren und nicht ausschließlich auf Prestige und elitäres Denken abzielen.
Die Lösung: Zuerst sollten die Universitätsabsolventen sich selbst selektieren. So sollte sich jeder selbst die Frage stellen, ob es wirklich sinnvoll ist, die lange und harte Arbeit für den prestigeträchtigen Titel auf sich zu nehmen und ob sich dadurch überhaupt Vorteile für den zukünftigen Karriereweg ergeben. Eine anschließende Auswahl sollte von der Universität vorgenommen werden, immerhin hängt der Ruf ihrer Fakultäten davon ab. So bleibt die Anzahl der jährlichen Neu-Doktoren überschaubar, die Betreuung durch den Doktorvater kann intensiviert werden und so sinkt auch das Risiko von unentdeckten Plagiaten und Täuschungsversuchen.
Der Stopp der Doktortitel-Inflation und die Rettung des »Dr. Segens«.
Bildnachweis:
Schiffbruch von WilliamTell
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Das sehe ich ganz ähnlich: in keinem Land, in dem der Doktor als Titel geschützt ist, wird er meines Wissens so zur ungetrübten Egopflege mißbraucht wie in Deutschland. Nicht, daß der Doktorgrad irgendjemanden hindern sollte, in die Wirtschaft zu gehen; in jedem Zweig kann Wissenschaft und wissenschaftliche Beratung sinnbringend eingesetzt werden! Einige meiner besten Freund*innen tun genau das, zum Beispiel in Trend- und Viralagenturen, mit großem Erfolg.
Forschen und wissenschaftlich arbeiten läßt sich überall, aber forschen und wissenschaftlich arbeiten sollte es schon sein. Wie auch dieser kürzliche Artikel in der New York Times (der allerdings über weite Strecken an Blödsinnigkeit grenzt) zum gleichen Thema erwähnt, besitzen von den aktuellen 622 Angehörigen des Bundestags 125 einen Doktortitel. Nicht die einzige Inflation: zusammen mit der von Dir genannten bizarren Steigerungsrate an »summa cum laude«-Beurteilungen gerade in den wirtschaftswissenschaftlichen Fächern wird klar, worum es hier wirklich geht. Und auch, warum die Universitäten diesen Zirkus bereitwillig unterstützen: in bestimmten Kreisen versteht man sich eben bei freundlichem Diebels. Mit Wissenschaft und Forschung hat das alles nichts zu tun.
In der Tat: auch an dieser Front besteht dringender gesellschaftlicher Veränderungsbedarf!
Toller Blogeintrag!
Bin ganz deiner Meinung! So ein Doktor im Namen macht einiges her und wird besonders in Deutschland als Sahnehäubchen angesehen. Die Plagiatsaffäre um Annette Schavan wird sicherlich nicht die letzte gewesen sein. Ich bin gespannt, welcher Politiker*in demnächst im Mittelpunkt der Medien stehen wird und letztendlich seinen Doktortitel aberkannt bekommt.
Es handelt sich hier um ein kulturelles Problem… und es gibt definitiv Veränderungsbedarf!
Es scheint mir auch so, dass ein Doktortitel zunehmend an Wert verliert. Die Jagd auf Plagiate gleicht einem Trend, mit dem Ziel, den Verfasser des Plagiats zu Fall zu bringen und dies in ganzer Linie. So müssen die vermeintlichen Doktoren nicht nur selbstverständlich ihren Titel abgeben, sondern verlieren auch ihren Job und über den Imageschaden braucht man gar nicht reden. Natürlich sind solche Konsequenzen gerechtfertigt, aber wird dieses Gehetze teilweise nicht übertrieben? Gut, den Verfassern von Plagiaten ist es schwierig weiterhin zu vertrauen. Aber den Job, den sie bis dato gemacht haben, haben sie ja nicht schlecht ausgeführt. Es ist definitiv schwierig den Wert eines solchen Titels aufrecht zu erhalten. Wie schon im Blogpost erwähnt liegt es an Hochschulen, die Arbeiten genauer zu prüfen, bevor dies zu einem späteren Zeitpunkt aufgedeckt wird und so der Ruf des Doktortitels weiterhin beschädigt wird.