»Wir brauchen Bürokratien, um unsere Probleme zu lösen. Aber wenn wir sie erst haben, hindern sie uns, das zu tun, wofür wir sie brauchen.« (Ralf Dahrendorf)
Wenn das Max Weber wüsste …
Ein Gastbeitrag von Julian Mai
Der Begriff Bürokratie dürfte wohl den wenigsten Menschen Verständnisschwierigkeiten bereiten. Was jedoch Bürokratismus bedeutet, wird wohl weit weniger bekannt sein. Im Grunde wird der Zustand des Bürokratismus von dem einleitenden Zitat sehr gut beschrieben. Man versteht nämlich darunter eine übersteigerte Form der Bürokratie, bei der die Bürokratie zum Selbstzweck wird. In diesem Falle ist der interne Ablauf bürokratischer Prozesse gegenüber den eigentlichen Zielen der Organisation in den Vordergrund gestellt und die Vorschrift wird dem Menschen übergeordnet. Anders gesagt: Wenn die Bürokratie Dr. Jekyll ist, dann ist der Bürokratismus Mr. Hyde also das extrahierte Böse einer eigentlich guten Sache.
Leider hat man beim Besuch des örtlichen Bürgerbüros oftmals nicht gerade das Gefühl, einem helfenden Dr. Jekyll gegenüberzusitzen. Vielmehr fühlt man sich hilflos. Es ist, als würde man durch die Londoner Unterwelt streifen und nur darauf warten, dass Hyde hinter der nächsten Ecke wartet. Demzufolge erscheint es mir also, als habe der Bürokratismus längst mit wehenden Fahnen Einzug in die Ämter unseres Landes gehalten.
Jeder deutsche Staatsbürger hat spätestens mit der Beantragung des ersten Personalausweises das Vergnügen mit der Bürokratie in Kontakt treten zu dürfen. Diese Kontakte häufen sich mit zunehmendem Alter und dürften den meisten Menschen so angenehm im Gedächtnis geblieben sein wie der letzte Zahnarzttermin.
Zwar erleidet man auf einem Amt in der Regel keine physischen Schmerzen, dennoch machen lange Wartezeiten und das doch sehr spezielle Gemüt vieler Beamten den Besuch zu einer ähnlichen Tortur. Jedem, der sich nun fragt, weshalb ich ein solch gespanntes Verhältnis zur deutschen Bürokratie habe, möchte ich meine jüngste und zudem schlechteste Erfahrung schildern.
Meine Freundin und ich waren vor nicht allzu langer Zeit auf der Hochzeit eines befreundeten Paares eingeladen. Die Trauung sollte um 11.00 Uhr beginnen. Um 10.55 Uhr betraten wir beide das Rathaus. Da wir nicht genau wussten, wo sich der Hochzeitssaal befand, entschlossen wir uns im Bürgerbüro nachzufragen. Hier fanden wir zwei Damen mittleren Alters vor, die sich über ihre Schreibtische hinweg miteinander unterhielten und keine Anstalten machten ihr Gespräch zu beenden. Da uns mittlerweile nur noch drei Minuten bis zu Beginn der Trauung blieben, entschloss ich mich die Damen zu unterbrechen und fragte, wo die Festlichkeit stattfindet. Über die Störung sichtlich erbost, blickte eine der Damen auf und gab mir deutlich zu verstehen, dass der Standesbeamte die Hochzeitsgesellschaft bereits abgeholt habe und wir somit zu spät seien. Weiter fügte sie spitz hinzu, dass sie nicht verstünde, wie man überhaupt zu einer Hochzeit zu spät kommen könne und sie deshalb nicht gewillt sei, mir weiterzuhelfen: Schließlich müsse Strafe sein!
Noch haarsträubender war die Erfahrung eines Bekannten. Er musste die Ehe- und Familienberatungsstelle seiner Stadt auf Grund schwerwiegender familiärer Probleme aufsuchen. Nach langer Wartezeit wurde er unfreundlich von einer Mitarbeiterin in Empfang genommen. Nachdem mein Bekannter seine Situation dargelegt hatte, entgegnete ihm die Beamtin, dass sie eigentlich Verwaltungsangestellte sei und lediglich die Schwangerschaftsvertretung für die zuständige Sozialarbeiterin mache. Sie sei deshalb mit der komplizierten Sachlage in diesem Fall total überfordert. Sie wisse zwar, dass in ähnlichen Fällen Hilfe möglich sei. Dies könne aber dauern und müsse zuerst beantragt und geprüft werden.
Davon abgesehen, dass man auf solche Hilfe gerne verzichtet, ist es zusätzlich auch noch schwer, überhaupt in Kontakt mit den Bürokraten dieses Landes zu treten. Es scheint nämlich, als wären die Öffnungszeiten der Ämter keineswegs daran angepasst, dass es auch Menschen gibt, die einer Beschäftigung nachgehen. Das Bürgerbüro meiner Heimatstadt hat beispielsweise folgende Öffnungszeiten:
Montag & Dienstag:
Mittwoch:
Donnerstag:
Freitag:
7:30 bis 16:00 Uhr
7:30 bis 13:00 Uhr
7:30 bis 18:00 Uhr
7:30 bis 12:00 Uhr
Solche Öffnungszeiten bedeuten für eine Person mit einer Vierzigstundenwoche, dass es gerademal einen Tag gibt, an dem sie theoretisch das Bürgerbüro aufsuchen kann. Natürlich ist dies auch nur dann der Fall, wenn man kein Berufspendler ist oder regelmäßig Überstunden leisten muss. Ähnliche Öffnungszeiten wären beispielsweise im Einzelhandel absolut undenkbar.
Hier wäre meiner Meinung nach ein Umdenken extrem wichtig. Es müsste sich auch in der Bürokratie ein gewisser Servicegedanke etablieren. Es sollte den Bürger nicht vor Probleme stellen auf Grund zeitlicher Einschränkungen, einen Reisepass zu beantragen oder sich umzumelden. Gerade weil es Pflicht ist, für solche Tätigkeiten ein Amt aufzusuchen, wäre es von dringender Notwendigkeit, dass man sich nicht nach den mehr als geregelten Arbeitszeiten der Beamten zu richten hat, sondern die Bürokratie sich vielmehr als eine Art Kundendienst mit größerer zeitlicher Flexibilität versteht und an den Bedürfnissen der Bürger orientiert.
Dennoch muss ich nach all diesen negativen Schilderungen auch zugeben, dass es durchaus auch positive Lichtblicke gibt. Als ich Ende letzten Jahres nach Düsseldorf zog, graute es mir bereits vom ersten Moment an vor dem Besuch des Einwohnermeldeamts. Doch ich wurde wider Erwarten positiv überrascht. Ich betrat ein leeres Wartezimmer und sah mich einem Touchscreen gegenüber, der mich aufforderte mich anzumelden. Den einfachen Anweisungen auf dem Bildschirm Folge leistend, machte ich daraufhin Angaben über mein Anliegen und konnte mir eine Zeit aussuchen, zu der ich wiederkommen wollte. Als ich mich zu dem ausgewählten Zeitpunkt wieder im Bürgerbüro einfand, musste ich keine fünf Minuten warten, bis ich an der Reihe war und eine freundliche Verwaltungsangestellte meine Ummeldung schnell und kompetent bearbeitete. Später erfuhr ich durch einen Freund, dass ich mich sogar hätte online anmelden können. Der Einsatz solcher technischen Dienste kann damit die »Benutzerfreundlichkeit« der Bürokratie maßgeblich erhöhen und sie zu der Hilfe machen, die sie eigentlich ohnehin sein sollte. Um die zu Beginn genannte Metapher aufzugreifen, kann man sagen, dass die verstärkte Nutzung technischer Helfer in der Bürokratie das Heilmittel sein könnte, das Jekyll endgültig von Hyde erlösen würde.
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Hehe … was mich natürlich zu der Frage verleitet: was wäre denn, wenn Max Weber das wüßte? :-)
Na ist doch klar … Dann würde er sich im Grabe umdrehen!
Auch aus meinem Heimatort kenne ich ähnlich haarsträubende Öffnungszeiten des Bürgerbüros. Viele von uns können es sicherlich nachvollziehen, dass es schon ärgerlich genug ist, wenn man mal seine Geldbörse verliert und Perso und anders neu beantragen muss. Besser wird’s dann auch nicht, wenn ich mir für den neuen Personalausweis auch noch einen halben Tag frei nehmen muss. Wenn ich dann aber noch auf eine unfreundliche »Pute« vom Amt treffen, die mir sagt wie unzulänglich ich doch wäre meine Sachen zu verlieren, sorry da hört der Spaß bei mir aber endgültig auf.
Da wäre es doch wirklich wünschenswert, wenn man in Zukunft noch mehr bequem von zu Hause online erledigen könnte.
Sehr schöner und unterhaltsamer Beitrag.
Auch mich macht es immer wieder wahnsinnig, wie wenig der Dienstleistungsgedanke in sämtlichen Behörden angekommen ist.
Um die oben angeführten Vorwürfe noch ein wenig zu untermauern, möchte ich gerne eine eigene kleine Anekdote beisteuern.
Vor ein paar Jahren im Einwohnermeldeamt in Emmendingen (ca. 27.000 Einwohner):
Nachdem ich also die üblichen Strapazen auf mich genommen hatte, um das kleine Öffnungszeiten-Zeitfenster zu erwischen, fand ich mich im Warteraum wieder. Dieser war selbstverständlich brechend voll. Irgendwelche Nummern zum ziehen gab es nicht, also setzte ich mich wie all die anderen, brav auf einen der wenigen freien Plätze.
Nach gefühlten 30 min wurde ich ungeduldig … schließlich näherte sich das Ende des kleinen Öffnungszeiten-Zeitfensters. Ich begann also wie gebannt auf die verschlossene Tür des Büroeingangs zu starren, in der Hoffnung, dass bediente Kunden heraus träten und wartende nachkommen könnten.
Das Ende der Geschichte ist wahrscheinlich bereits absehbar. Nachdem meine Geduld ausgereizt war, öffnete ich die Türe und warf einen Blick in die Büros: Ich sah in die Runde erzürnter Gesichter, deren Kaffeeklatsch ich offensichtlich und unverschämterweise gestört hatte. Wiederwillig wurde nach meinem Begehren gefragt (Neuen Wohnort anmelden). Schliesslich half man mir weiter und ich wurde mit einigen Euro Bußgeld entlassen, da ich natürlich mal wieder ein wenig zu spät dran war …
Ende.