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Unsinn allenthalben: Das gehegemannte Feuilleton

brave new texts

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Das Hegemannsche Händewedeln in Richtung Kathy Acker ist unverschämt genug, aber so richtig fegefeuerwarm wird’s erst in hegemannenden Feuilletonartikeln.

Über Hegemann selbst wird bereits genug geschrieben und dabei genügend Unsinn. Als Antidot empfehle ich gerne die beiden Einträge Intertextuelle Illusionen sowie Die Spiegelung eines Plagiats in der Erschaffung von Wörtern von Anatol Stefanowitsch im Sprachlog. Ersterer enthält eine gute Kollektion an Argumenten, warum Hegemanns Plagiate weder etwas mit Intertextualität noch mit Remix-Kultur zu tun haben, letzterer hat als Anhang eine Linkliste mit einer Auswahl an Artikeln zum Thema.

Das Hegemannsche Händewedeln in Richtung Kathy Acker ist schon unverschämt genug, aber so richtig fegefeuerwarm wird’s erst in hegemannenden Feuilletonartikeln wie diesen, die nicht nur unkritisch ihren Nonsens, sie »habe sich das Stilprinzip der Schriftstellerin Kathy Acker zum Vorbild genommen«, sondern auch faktisch falsche Passagen aus der deutschsprachigen Wikipedia replizieren — letztere dabei aber nicht, ohne sie vorher mit superlativierenden Steroiden aufzupumpen.

Dazu schrieb ich in einem Kommentar bei Don Alphonso:

Etwas nebengleisig, mündet aber schnell wieder im Hauptthema: Ich weiß nicht, wo einem zuerst die Sicherungen durchbrennen sollen. Möglichkeit A: Wenn Hegemann sich bei Kathy Acker »bedankt«, von deren Theorie und Schreibstil sie nicht mal den Ansatz einer Ahnung hat, weil man das zum Abschreiben und Anbiedern ja auch nicht braucht. Möglichkeit B: Wenn in Jürgen Kaubes »Germany’s Next Autoren-Topmodel«, einem faz.net-»Hintergrund«-Artikel, jeder Satz über Kathy Acker und ihr Œuvre mit Ausnahme der Drastik der sexuellen Darstellungen sachlich falsch ist, von Ackers »Plädoyer für hemmungsloses Plagiieren« bis zum »dafür vor Gericht gezogen«.

Erst danach fiel mir auf, daß dieser Unsinn bereits in der deutschsprachigen Wikipedia steht, und kommentierte das gleich hinterher mit einer Bemerkung zum deutschen Recherchejournalismus. (Eine Replik, die ich daraufhin erhielt, machte mir wieder klar, wie Deutschland sich weltweit einen Ruf aufbauen konnte als Nation der Verkehrserzieher und Sofafußballtrainer.)

Hier war wieder einmal eine Art Stille Post am Werk von einer besonderen Sorte, die ich das eskalative Floskelroulette des deutschen Journalismus nennen möchte. Aus der Auseinandersetzung (die ich gleich skizzieren werde) zwischen Kathy Acker und ihrem britischen Verlag und dem Verlag von Harold Robbins wird in der deutschsprachigen Wikipedia, nebst fehlerhafter Quellenangabe, daß »Harold Robbins [sie] wegen Verwendung einiger Passagen [verklagte]«. Die erste Runde im Floskelroulette: In welcher der Verlag von Harold Robbins, von dem der Disput zunächst auch gar nicht ausging, zur griffigeren Person des Harold Robbins selbst wird und der Plagiatsdisput zu einer »Klage«. Die nächste Runde findet dann im Feuilleton statt, wo Acker »dafür vor Gericht gezogen wurde« — eine enthusiastisch hohlgedroschene Begriffshülse, die in der deutschen Qualitätspresse allmählich zur konkurrierenden Superphrase »vor den Kadi gezerrt« aufschließt. Ähnliches gilt für die andere Aussage, wenn aus dem Wikipedia-Satz »sie trat für ›Plagiarismus‹ als Kunstform ein« im Feuilleton-Artikel »ihr Plädoyer für ein ganz hemmungsloses Plagiieren als eigene Kunstform« wird: Eskalatives Floskelroulette und Ramschkolportage in olympischer Bestform. Und wir haben noch längst nicht den feuilletonistischen Faßboden erreicht, denn dieser Artikel äußert sich ja kritisch zum Thema Hegemann, wenn auch auf eine Weise, die insgesamt mehr über sich selbst aussagt als über Hegemann.

Tatsächlich hatte Acker ein ausgesprochen fragwürdiges Stück aus The Pirate von Harold Robbins seziert, bloßgelegt und in die multiplen Plots von My Death My Life by Pier Paolo Pasolini eingebunden auf eine Weise, die nach amerikanischem Recht absolut einwandfrei ist (hinsichtlich Fair Use, Parodie etc.) und weder in den USA noch in irgendeinem Land sonst irgendwelche Probleme verursachte bei der Veröffentlichung.

Dazu Acker in “Devoured by Myths: An Interview with Sylvère Lotringer”1:

Robbins is really soft core porn, so I wanted to see what would happen if you changed contexts and just upped the sexuality of the language. […] You just take other texts and you put them in other contexts to see how they work. You take texts apart and you look at the language that’s being used, the genre, the kind of sentence structure, there’s a lot of contents here that most readers don’t see. (13–14)

In England allerdings ticken die Gesetze anders; die Rahmenbedingungen für einen bunten Strauß an Klageformen sind dort in weiten Teilen so absurd (siehe dazu auch , und ganz speziell auch ), daß das Einknicken vor drohenden Klagen dort nicht nur an der Tagesordnung, sondern eine glatte Überlebensfrage ist. Denn der eigentliche Kernpunkt der Auseinandersetzung war nicht “plagiarism,” sondern wie Kathy Acker das Opfer eines Vorläufers der “frivolous DMCA Takedown Notice” oder »unberechtigten Abmahnung« wurde, als ihr Roman in einer Kollektion früher Werke in einem britischen Verlag erscheinen sollte:

There is a scene there where a rich white woman walks into a disco and picks up a black boy and has sex with him. I changed it to be about Jacqueline Onassis and I entitled the piece “I Want to Be Raped Every Night. Story of a Rich Woman.” I think the joke’s quite obvious, but the journalist called my publisher and then she called Harold Robbins’ publisher, and their response was that, my God, we’ve got a plagiarist in our midst. (12)

Daraufhin versprach Ackers Verlag, die Kollektion zurückzuziehen, und daß Acker sich öffentlich bei Robbins entschuldigen werde — ohne Acker dazu anzuhören oder auch nur darüber zu informieren (wie gesagt: ein Vorläufer der DMCA Takedown Notice):

This is not standard literary practice by any means. This in fact is banning. When I heard about this, I said you could do what you want with your edition of the book but I’m certainly not signing a public apology for something I’m not guilty of. I’m not guilty of plagiarism. (12)

Soviel zu Kathy Acker, die in der deutschen Qualitätspresse nach ein paar Runden Floskelroulette im Rahmen ihres »Plädoyers für ein ganz hemmungsloses Plagiieren als eigene Kunstform« »vor Gericht gezogen wurde«.

Great Job.

Acker hat schließlich eine Erklärung unterschrieben, die in der englischen Presse veröffentlicht wurde, aber leider fehlt mir nach wie vor das Original.

Und schließlich noch ein Zitat von Kathy Acker zu playing vs. copying:

It’s very boring, copying, your mind goes. What’s fun is what happens when you start playing with a text, it’s just like jazz riffs, you go back and forth and down and around. You’ve got the text in front of you and you go everywhere. (11)

Hegemann? Ich lach mich tot.

“Banned” bzw. indiziert wurde übrigens ein Roman von Acker in Deutschland — mit den zum Teil bizarrsten Begründungen in der offiziellen Entscheidung der damaligen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, die ich je gelesen habe. Auch da ging es um »Kindersex«, wie bei den Pornographievorwürfen gegen Hegemann. Und auch hier wäre ein entschuldigendes Händewedeln in Richtung Kathy Acker eine nach unten offene Frechheit aus Gründen, die ich vielleicht in einem Folgebeitrag aufrollen werde.

1 Acker, Kathy. Hannibal Lecter, My Father. New York: Grove, 1996. 1–24. 
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