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Andrew Keen: Ein Meister aus Hampstead

Colbert Report: Andrew Keen

Colbert Report: Andrew Keen

Nach einem so kurzweiligen Arbeitswochenende, daß ich kaum zum Schlafen kommen wollte, konnte ich mir nun endlich diesen Radiomonolog von Andrew Keen antun.

Andrew Keen. Wir erinnern uns:

»Ich Keen, Du Interwubs! Keen töten Interwubs!«

Andrew Keen, wem das bislang entgangen ist, ist der Autor von Cult of the Amateur, ein unermüdlicher Einprügler auf das Internet, Blogger, Wikis, Web 2.0 und alle physischen und psychischen Erzeugnisse, die nicht den Köpfen einer gesalbten Kulturelite wie Pallas Athene dem Haupt des Zeus entsprungen sind. Näheres darüber erfahren läßt sich beispielsweise hier und hier.

Sheesh, what a bloated bag of protoplasm.

Ich habe youtube-Kommentare gesehen, die waren im Vergleich zu diesem Radiomonolog intellektuell funktionsfähiger und von geradezu demütiger Bescheidenheit. Sogar welche, die sich weniger Strohmänner zum Umsäbeln gebastelt haben, auch wenn das noch so unwahrscheinlich klingt.

Keens blödsinnige Religionsverein-Metaphernwelt wird bereits seit Jahren — zumindest kommt es mir so vor — gegen die New Atheists zu Tode geritten, das läßt sich längst im Chor mitsprechen. “Moral Decay” via Silicon Valley paßt da irgendwie auch gut rein, und da Keen Engländer ist, muß sich zur klerikalen Groschenheftchenpredigt auch ein Hauch feudaler Großmachtphantasie gesellen: Daher verwundert die Formulierung “the traditional creative class”, an deren Worten Keens “hero citizens” lauschend und den Mund haltend kleben sollen [I’m not making this up!], keineswegs.

Was Keen geisteskindlich und kulturhistorisch sonst noch alles drauf hat, ließ er sich ohne große Mühe mittels einer formattypischen provokativen Steilvorlage von Steven Colbert beim Colbert Report entlocken (Link mittlerweile nicht mehr einbettbar und möglicherweise geoblocked).

Ab 00:30 entwickelt sich folgender Dialog:

Keen: […] that’s stealing culture.
Colbert: But it’s still culture! Hey, the Nazis stole culture, but it was still culture!
Keen: It’s worse than that. It’s worse than stealing culture.
Colbert: It’s worse than the Nazis? The Internet is worse than the Nazis, that’s what you just said, Sir.
Keen: Even the Nazis didn’t put artists out of work.
Colbert: Tell that Egon Schiele.1
Keen: Well they had their own group of artists.

Das gesamte Interview entlang hat Keen offenbar nicht das geringste Gespür dafür, daß Colbert ihn ununterbrochen über den Zaun zieht. Nicht nur fehlt Keen selbst jede Spur von Humor — er versteht auch alles, was Colbert von sich gibt, absolut wörtlich!

Das ist also der Mensch, der sich selbst als “leading contemporary critic of the Internet” inthronisierte.

Was fällt uns dazu noch ein? Eigentlich nichts — außer, daß zu jedem Dr. Evil, der etwas auf sich hält, auch ein qualifizierter Mini-Me wie der Sonntagskolumnentroll gehört.

1 Schiele starb schon 1918 in der großen Grippe-Epidemie. Ob Colbert hier den Moment ausnutzt und nach dem ersten Namen eines expressionistischen Künstlers greift, der ihm einfällt, oder dieser zeitlich offensichtlich nicht zum Argument passende Künstler ebenfalls ein Teil von Colberts Fliegenfalle ist (was ihm durchaus zuzutrauen wäre), läßt sich schwer entscheiden. Keen jedenfalls antwortet darauf ja auch prompt so, als wüßte er genau, von wem die Rede ist. Kulturelite, halt. 
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