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Der Inhalt der Form

How Not to Be a Hack

How Not to Be a Hack

All bad poetry springs from genuine feeling.1

Gute Texte sind nicht nur gute Inhalte, gute Texte sind auch gute Form. Das sollte eine Binsenweisheit ein, ist es aber nicht. Gerade in Deutschland — und dort, wie mir scheint, besonders seit dem braunen Einschnitt auch in der Kulturgeschichte — ist dies nur noch eine marginale, schmückende Idee, die ab und zu hervorgeholt wird wie das ererbte Tafelsilber, wenn eine bestimmte Sorte Gäste zu Besuch kommt. Aber dies so richtig und regelmäßig zu gebrauchen, ach, das ist lange her. Wer macht so was denn noch. Und dann immer die ganze Putzerei und Politur, anneeh.

Wenn ich höre »Copy liest ja keiner mehr« und »Schreiben ist für Texter nicht so wichtig« und »ein guter Texter muß Ideen haben«, dann frage ich mich, warum wir Copy nicht einfach durch Ornament ersetzen; formschöne, strukturierte Arabesken böten sich hier an. Die zweite Frage ist, warum solche Texter sich weiterhin »Texter« nennen und nicht »Konzeptioner«. Denn das ist es, was sie sind. Mit Texten hat das nichts zu tun.

Gleich nach dem Examen und zusätzlich zu meiner Doktorarbeit studierte ich vier Semester Japanisch, bis die einsetzenden Gebühren fürs Zweitstudium mir den Spaß verdarben. Die intensive Beschäftigung mit einer Kultur, in der die Form tatsächlich wichtiger ist als der Inhalt in immens vielen Bereichen, addierte interessante Perspektiven zum schreibtechnisch in Übersee Erlernten. Und, nicht zu vergessen, viel Lektüre wie The Content of the Form von Hayden White.

Der Inhalt der Form. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Industriedesign, nebenbei, kennen das schon lange.

Aber was ist auch zu erwarten von der schreibenden Zunft eines Landes, in der — mit Ausnahme der Journalistik — das Schreiben erst gar nicht als anerkannt erlernbare Fertigkeit firmiert? In dem niemand narrative Techniken lernt und anzuwenden lernt? Die Kunst, mit rhetorischen Figuren umzugehen? Den Titel und die ersten Sätze einer Kurzgeschichte so gnadenlos zu polieren, bis niemand — resistance is futile! — widerstehen kann, den Rest zu lesen? Wenn das jetzt nach dem so überaus lästigen weil anstrengenden Prinzip der Abfolge von Headline–Teaser–Copy klingt, ja, in der Tat. Das ist kein Zufall.

»Form«, in der Poetik, in der Prosa, in der Werbung, kommt nicht »natürlich« zustande. Sie entsteht auch nicht beim hingebungsvollen Hybridisieren von Bandwürmern und Stelzläufern in Seminararbeiten auf der Uni. Oder dem Absolvieren sogenannter »Texterschmieden«, wo nach dem betriebsüblich hysterischen Abfeiern der Priorität von »Ideen« das Thema Form sich im (vom ursprünglichen Motto bereits erheblich aufgehübschten) »Denn Texten ist geistreiche Verführung unter Zeitdruck« ebenso erschöpfend wie banal artikuliert.

1 Wilde, Oscar. The Critic as Artist. n.p. 
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