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Produktnamen, oder: A Rose By Any Other Name

brand meets world

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Unser Wissen zu Spracherwerb und Sprachentwicklung ist mittlerweile genügend fortgeschritten, um sagen zu können, daß das Ozeanische Newspeak-Projekt aus Orwells Nineteen Eighty-Four an den evolvierten Eigenschaften unseres Gehirnapparates scheitern würde. Dinge oder Konzepte, für die es keinen Namen gibt, verschwinden nicht aus unserem Bewußtsein: Vielmehr gesellen Namen sich umgehend zu Ding oder Konzept hinzu.

So ergeht es auch Produkten, die noch in der Entwicklung sind. Zwei Fehler können hier gemacht werden, die ich immer wieder erlebe:

  1. Während der Entwicklungsphase setzt sich für das neue Produkt unter den Projektbeteiligten ein beliebiger Name »irgendwann, irgendwie« durch und bleibt dann kleben.
  2. Das Produkt erhält einen offiziellen vorläufigen Arbeitsnamen, der das Produkt selbst oder seinen Nutzen rudimentär beschreibt.

Beides ist gefährlich. Gerade während der Entwicklungsphase ist das Identifikationspotential unter den Beteiligten — in Forschung & Entwicklung, Marketing etc. — besonders hoch, und dieses überstarke Liebgewinnen umfaßt in der Regel auch des Produktes »vorläufigen« Namen. Ist die Entwicklung dann so weit fortgeschritten, daß die Agentur eingeschaltet wird, ist Heulen und Zähneklappern zu erwarten: Da die Anhänglichkeit zugunsten des vorläufigen Namens oft sogar bis ins gehobene Management vorgedrungen ist, findet sich die Agentur oft in der Rolle des Don Quixote, wenn es darum geht, das Produkt mit einem Namen auszurüsten, der zu seinen Überlebenschancen beiträgt in der feindseligen Wirklichkeit des Marktes.

Und damit nicht genug; es ist nicht allein ein nicht-wirklich-bester Name, der ein neues Produkt auf Tauchstation gehen lassen kann, und zwar für immer — zusammen mit millionenschweren Goldschätzen aus Entwicklung und Marketing, die das Produkt unweigerlich mit sich in die Tiefe zieht. Denn es verhält sich so:

  • Werbung sollte immer ein Versprechen beinhalten, und zwar vornehmlich eins und ein sehr spezifisches, und ein gutes Produkt kann in der Regel verschiedene Dinge versprechen. Aber nicht alle werden in einer bestimmten Marktsituation zu einem bestimmten Zeitpunkt auch gleich gut aufgenommen, also sollten diese Versprechen getestet werden, und entlang des vielversprechendsten Versprechens sollte der Name dann entwickelt werden, der am besten dazu paßt.

Auf diesem Hintergrund ist es nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß der eingegrabene Produktname (»eingegraben« im Sinne von »verschanzt«) dazu führt, daß dieser immens wichtige, vorbereitende Schritt blockiert wird, oder daß zumindest eine ganze Reihe potentieller Versprechen scheuklappenartig ausgeblendet werden.

Hier gibt es nur eine einzige Abhilfe: Ein Arbeitsname muß für das Produkt gefunden werden, und zwar rechtzeitig, nicht einfach irgendwann, der absolut nichts mit dem Produkt und den Produkteigenschaften zu tun hat — wie Microsofts “Whistler” für XP oder “Longhorn” für Vista. Oder der zusätzlich sogar bestimmten, immer gleichen Regeln folgt, wie Intels Ortsnamen für Prozessoren und Chipsätze.

Es gibt noch mehr Gründe, »absurde« Arbeitsnamen für in der Entwicklung befindliche Produkte zu verwenden, auf die ich in einem späteren Beitrag noch eingehen werde. Aber dies ist, meiner Ansicht nach, der wichtigste. Denn auf dem Markt gilt eben gerade nicht Shakespeares bekannte Zeile aus Romeo and Juliet aus dem Eintragstitel — es gilt vielmehr: a product, by any other name, does never smell as sweet.

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