Zweit Longcopy-Anzeigen für eine Weight Care Clinic, die technisch etwas schwächeln, aber einen nicht uninteressanten Ansatz ausprobieren.
Das dritte und vorläufig letzte Beispiel sind zwei Anzeigenmotive für die Weight Care Clinic in der American University of Beirut, Medical Center, von Memac Ogilvy, Dubai, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Beide Motive in einigermaßen lesbarer Größe hier: Haya El Hamid & Tarek Osman.
Zunächst. Ich bin nicht sicher, ob der Satz “Don’t die before your time” eine explizite Handlungsaufforderung ersetzt; ich komme auf das Thema aber noch zurück. Des weiteren sollte die Telephonnummer als 24/7 erreichbar ausgewiesen sein und eine googlemail-Adresse finde ich hier nicht angemessen, auch wenn die Zeiten längst vorbei sind, in denen Webmail sich ausschließlich durch Trash-Charme auszeichnete.
Die (Long-)Copy selbst finde ich durchaus interessant, aus verschiedenen Gründen. Da ist zunächst die Zielgruppe: Mit einer Musiklehrerin und einem Journalisten als Hauptpersonen der erzählten Geschichten wenden die Anzeigen sich offenbar weder an sozial schwächere Bevölkerungsgruppen, in denen Übergewicht in den “developed countries” am häufigsten auftritt, noch an sozial hochstehenden Klassen, die in “developing countries” oft prozentual stärker mit Übergewicht assoziiert sind. (Ein flüchtiger Blick auf Studien zumindest legt nahe, daß die Distibutionen im Libanon denen in den USA nicht unähnlich sind, und die Junk-Food-Problematik klingt auch hinreichend vertraut.)
Ein weiteres auffälliges Merkmal ist, daß es in beiden Geschichten keinen »Helden« gibt im Sinne eines Produktes oder Services “that saves the day”. Dies ist ungewohnt aber, wie ich finde, durchaus trickreich eingesetzt als Leerstelle, die darauf wartet, von der Leserin oder vom Leser ausgefüllt zu werden. Um mit John Barth zu sprechen, wir alle sind jeweils “necessarily the hero of our own life story”, und über die typischen Identifikationsmechanismen von Geschichten wird in dieser Longcopy die Heldenrolle statt dem Produkt oder dem Service der Leserin oder dem Leser zugewiesen. Wobei die heldenhafte Handlung natürlich darin besteht, sich mit der Weight Care Clinic in Verbindung zu setzen und auf diese Weise aus der angebotenen Zukunft eine “alternative future” zu machen und der tatsächlichen Zukunft einen anderen Verlauf zu geben — um damit Haya El Hamid und Tarek Osman als Platzhalter für die eigene Person das Leben zu retten.
Zu überlegen wäre, ob die von mir anfangs bemängelte fehlende explizite Handlungsaufforderung sich nicht tatsächlich beißen würde mit dieser Strategie, indem sie den »tu das nicht!/tu das!«-Impuls überlagern würde, den wir oft beim Lesen eines Buches oder beim Sehen eines Films verspüren, wenn Held oder Heldin drauf und dran ist, falsche Entscheidungen zu treffen.
Auch diese dritte Variante zum Thema Longcopy hat keine technischen Ähnlichkeiten mit dem, was gemeinhin unter Longcopy verstanden wird. In Abwesenheit solcher Techniken muß die Zielgruppe gleich zu Anfang der Geschichte präzise für die Geschichte interessiert werden. Das ist hier nicht so ganz gelungen, weil das Problem »Übergewicht« ein wesentliches Plot-Element ist, das nicht einfach in die Einführung geklebt werden kann, ohne den Spannungsbogen zu zerbrechen. Mit ein bißchen mehr Mühe hätte sich dieses Problem aber lösen lassen, wenn der jeweils erste Satz der Copy weniger beliebig ausgefallen wäre (eine ganze Reihe von Ursachen käme hier für den Tod der Hauptpersonen noch in Frage), sondern Signale bereitstellen würde, die der übergewichtigen Zielgruppe das tatsächliche Problem der Heldin und des Helden bereits “in a nutshell” im allerersten Absatz nahelegen würden.
Auch wenn die Durchführung etwas schwächelt, finde ich die prinzipielle Idee nicht schlecht. Der nächste Schritt wäre zu testen, ob sie funktioniert.
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