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Gastbeitrag: Mein Chef bin ich!

Mitarbeiter-Freiheit

Die Zeiten von bürokratischen Organisationsstrukturen gehen dem Ende entgegen, zumindest in der freien Wirtschaft.

Fabian Nickel

Mein Chef bin ich!

Ein Gastbeitrag von Fabian Nickel

Einst waren strikte Organisationsstrukturen da, um eine Arbeitsteilung zu gewährleisten und diese zu steuern bzw. zu koordinieren. Dies findet sich in Familien, in der Politik und in der Gesellschaft wieder. Die Kernidee hierbei ist es, eine Konzentration auf bestimmte Tätigkeiten zu richten und somit, langfristig gesehen, sogenannte Spezialisierungsvorteile durch Lerneffekte zu erzielen. Speziell im Bereich der Wirtschaft sind Spezialisierungsvorteile vonnöten und eine klare Organisation bei Führung eines Unternehmens von großem Vorteil.

So fing es an, dass sukzessiv immer detailliertere Organisationsstrukturen mit einer Vielzahl von Abzweigungen geschaffen wurden. Zum einen ist die Bedeutung einer klaren Hierarchie im Unternehmen gewachsen und zum anderen wurden die einzelnen Aufgabenbereiche immer konkreter. Doch auch die Zeiteinteilung und die Arbeitsabläufe an sich sind im Laufe der Zeit zunehmend zu einer statischen Selbstverständlichkeit geworden. Dieser Trend lässt sich als Bürokratisierung beschreiben und drückt zugleich die Eintönigkeit und Inflexibilität eines solchen Organisationskonzeptes aus.

Eine solche Entwicklung schlägt sich zudem auch auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter nieder. Durch einen stupiden Ablauf der Arbeitsaufgaben empfinden viele Angestellte ihren Job nicht mehr als Herausforderung und sind eher gelangweilt als motiviert. Um dies zu umgehen, setzen zahlreiche Unternehmen den Fokus im Bereich der Organisation auf den informellen Teil. Anders als der formelle Teil, betrachtet der informelle Teil Eigenschaften von Personen, persönliche Beziehungen und Gepflogenheiten eines Unternehmens. Dadurch wird versucht die statische Struktur der bürokratischen Organisationssysteme zu durchbrechen. Somit soll die Produktivität, durch Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit und gezielteren Einsatz einzelner Mitarbeiter mit verschiedenem Wissen, gesteigert werden. Erste Ansätze gehen in die Richtung der Teamorganisation. Hierbei werden Teams für eine längerfristige Zusammenarbeit erstellt, unter Berücksichtigung der einzelnen Beziehungen der Mitarbeiter zueinander und deren Wissen. Unter solcher Berücksichtigung gibt es deutlich weniger Spannung innerhalb eines Teams und die Arbeitsaufgaben werden erheblich komplexer durch Teamprojekte, da hier das Wissen jedes Teammitglieds von großer Bedeutung ist. So ein Ansatz kann bei eigentlich statischen Arbeitsabläufen Wunder bewirken, weil die so geschaffene Abwechslung für Mitarbeiter vor Ermüdungseffekten vorbeugt.

Doch der aktive Einsatz von informellen Organisationskonzepten ist in Unternehmen noch eine große Seltenheit. Laut des Stressreports 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) fühlt sich jeder Zweite im Job überfordert. Daraus lässt sich entweder schließen, dass bei neueren Organisationsansätzen die Aufgaben zu gutmütig verteilt werden oder dass einzelne Fähigkeiten nur ungenau betrachtet werden und somit Aufgaben überhalb der eigentlichen Qualifikation vergeben werden. Wahrscheinlich ist hier letzteres der Fall, da bei dieser Studie festgestellt wurde, dass wenn Teamarbeit vorgesehen war, die Kollegen mit Hilfe und Unterstützung gerne zur Seite standen. Dies trifft auf rund 80 Prozent der Befragten zu. Die Bereitschaft zur Hilfe von Vorgesetzten liegt dagegen bei nur gut 50 Prozent. Dies lässt sich wieder auf die Ausgangssituation, einer bürokratischen Organisationsstruktur, zurückführen. Man sieht also noch ganz klar, dass die verschieden hierarchischen Ebenen und die strikte Trennung untereinander zu großen Spannungen führen. Somit sind wohl zwei verschiedene Faktoren die größten Gefahren, welche das Betriebsklima schädigen: Aufgaben, die über den eignen Horizont hinausgehen und die Distanz zu anderen Mitarbeitern und insbesondere Vorgesetzten.

Dadurch baut sich ein immer größer werdender Druck für den Arbeitnehmer auf, dem Arbeitgeber und den Kollegen gerecht zu werden. Diese Tatsache spitzt sich so zu, dass die oberste Prämisse für Angestellte ist, ihrem Vorgesetzten zu gefallen. Dieses Verhalten kommt nicht von ungefähr, sondern ist das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung. Schon in der Familie lassen sich solche Strukturen erkennen. Jeder kennt wohl den berühmten Satz: »Man lernt nicht für andere, sondern für sich selbst.« Dieser Satz lässt sich auf das Verhalten in der Familie, in der Schule und später im Job anwenden. Denn das eigentliche Ziel eines jeden ist, anderen zu gefallen und gerecht zu werden. So will man schon als Kind den Eltern gerecht werden und sie stolz machen. Auch in der Schule geht es darum den Lehrern zu zeigen, dass man die Unterrichtsinhalte beherrscht. Im Job sieht es dann oftmals nicht anders aus. Man will dem Vorgesetzten gerecht werden und legt alles darauf an, seine Position so gut wie möglich auszuüben. Dies wird natürlich auch durch die Angst, den Job zu verlieren, verstärkt. Doch diesem Druck sind nur die wenigsten gewachsen und das macht auch auf Dauer nicht glücklich und zufrieden.

Nach und nach wird dies auch von Arbeitgebern erkannt und durch teilweise sehr skurrile Konzepte versucht dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Hierzu werden die Arbeitszeiten, Urlaub und der Lohn genauer betrachtet und angepasst. Diese Anpassung, schlägt sich in der Flexibilität nieder und ist bei erster Betrachtung der Traum eines jeden Angestellten. Diese Konzepte sehen nämlich wie folgt aus: Die Angestellten dürfen selbst bestimmen, wann sie arbeiten bzw. wie lange sie arbeiten und wann und wie lange sie Urlaub nehmen. Sogar wie viel sie verdienen, können sie teilweise selbst bestimmen. Dies sieht auf den ersten Blick sehr kurios und unorganisiert aus, ist es aber nicht. Diese Freiheiten unterliegen einigen Bedingungen, welche diese neuen Konzepte genauer verstehen lassen. Beispielsweise bei der Bestimmung des Lohns muss die Vorstellung mit den anderen Kollegen besprochen und gerechtfertigt werden. Man misst seine eigenen Qualifikationen also mit denen der Kollegen und wiegt so die eigenen Gehaltshöhe ab. Dadurch kommt es beim Thema Gehalt in einem Unternehmen zu erkennbar wenigen Reibungspunkten, da jeder von dem anderen weiß, was er verdient und dies ist die Besonderheit, warum er genau diesen Lohn verdient. Im Bereich der Urlaubsplanung und der Arbeitszeiten sieht es ähnlich aus. Alles muss mit den Kollegen abgestimmt werden und wenn es für alle in Ordnung geht, ist es jedem durchaus möglich früher oder später zur Arbeit zu kommen und sogar bis zu 5 Wochen Urlaub zu nehmen. Somit ist die gesamte Abteilung für die Erreichung der Ziele verantwortlich, kann aber auch selber bestimmen, wann die einzelnen Aufgaben erledigt werden. In Deutschland haben dieses Konzept schon ein paar Unternehmen eingeführt und sind bislang sehr zufrieden. Benno Löffler, Geschäftsführer einer Managementberatungsfirma aus Hannover, ist mit dieser neuen Art der Organisation zufrieden und kann bislang nur positive Effekte erkennen. Die Mitarbeiter verhalten sich mit diesen Freiheiten recht normal und sind rundum zufrieden. Auch die Lohnkosten sind wohl nicht angestiegen im Vergleich zu vorher.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Konzepte nicht höhere Kosten in der übergeordneten Organisation verursachen. Solange alle Mitarbeiter an einem Strang ziehen und auf dem Boden der Tatsachen bleiben, ist ein solches Organisationskonzept das Beste, was der Mitarbeiterzufriedenheit und somit auch oftmals der Produktivität in einem Unternehmen passieren kann. Jeder einzelne fühlt sich als sein eigener Chef und hat deshalb das Gefühl ein vollwertiges Mitglied des Unternehmens zu sein.

Bildnachweis:
Stairway to Heaven von Sigurd Decroos

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2 Responses

  1. Sicher muß gerade in den neuen Organisationsformen auch immer ein Auge offengehalten werden für Trittbrettfahrer, die gibt es schließlich überall. Aber in einer Welt, in der — auf dem Hintergrund exponentiell zunehmender Innovationstempi und entsprechendem Komplexitätszuwachs — Aufgaben überhaupt nur bewältigt werden können mit einer kollaborativ/kokreativ arbeitenden, hochmotivierten Workforce, ist das sicherlich eine Richtung, die eingeschlagen werden sollte. Für Menschen, die in solchen und ähnlichen neuen Organisationskonzepten arbeiten, scheint sich dazu bereits auch, ganz allmählich, das mentale Konzept von »Arbeit« zu verändern, wie es sich seit dem 19. Jahrhundert etabliert hat — wir werden sehen, wohin uns das als Spezies führt! :-)

  2. Die Flexibilität und eigene Mitbestimmung liest sich wie ein Märchen oder ein Traum. Allerdings benötigt das Konzept auch ein kleines bisschen Selbstlosigkeit. Wenn alle hinrennen und nur das Beste für sich selber wollen – den meisten Urlaub, das dickste Gehalt und noch unendlich viel Flexibilität – ist das Konzept wohl leider zum Scheitern verurteilt. Wenn jedoch alle an einem Strang ziehen und mit ein bisschen Nachdenken bemerken, dass es viele Vorteile für alle bieten kann, so könnte es ein kleiner Schritt zu mehr Selbstverantwortung und Selbstbestimmung in unserem ach so geordneten und starren Leben sein.

    Wenn einem der kleine Finger gereicht wird, sollte man nicht direkt den ganzen Arm abreißen.
    Aber leider ist Maßlosigkeit schon sehr früh als Todsünde erkannt worden – und heute wohl aktueller als je zuvor!!!