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Shockvertising

Road Safety: Seatbelts

Road Safety: Seatbelts

Kurz gestreift habe ich das Thema Shockvertising oder Schockwerbung hier und hier, ausgehend von einer Diskussion auf dem Werbeblogger [RIP] zu einer WWF-Anzeige.

Daran erinnert, daß ich mich noch etwas ausführlicher damit beschäftigen wollte, hat mich der neue Werbespot der Think!-Kampagne des britischen Department for Transport:


THINK Road Safety: Seatbelts—Three Strikes

Wie wirksam ist Shockvertising? Läßt sich für agenturseitige Beschreibungen wie »appellieren«, »wachrütteln«, »Diskussionen auslösen«, »Denkweisen aufbrechen« etc. eine Entsprechung in der Realität finden hinsichtlich »Ändern des Verhaltens«?

Ein erstes Problem mit Shockvertising ist, daß Menschen sich oft zu Recht die Frage stellen, was diese Art von Werbung eigentlich bezweckt, insbesondere das cui bono — wer zieht daraus welchen Nutzen? Im Rahmen dieser Absichtsfrage ist es für ein Unternehmen alles andere als einfach, ein soziales Anliegen als soziales Anliegen glaubhaft zu machen, wenn Produkt- und Markenwerbung darin verwickelt sind. Die Auseinandersetzung um Benetton-Kampagnen ist hier ein guter Maßstab.

Als mögliche Antworten auf die cui-bono?-Frage lassen sich beispielsweise formulieren:

  • Schockierende Werbung ist auffällige Werbung. Die Gefahr, im ambienten Werberauschen unterzugehen, ist gering.
  • Schockierende Werbung ist provozierende Werbung, und »provozierend« wird in Agenturenargumentationen in der Regel als positive Eigenschaft verkauft. Die Gefahr, sofort wieder vergessen zu werden, ist gering.
  • Schockierende Werbung ist konfrontierende Werbung, und jenseits der verargumentierten »Konfrontation mit eigenen Verhaltensmustern« werden Menschen zunächst einmal mit Produkt, Marke, Unternehmen und Agenturleistung konfrontiert. Die Gefahr, mit einer guten Schockwerbung für einen gewissen Zeitraum nicht in aller Munde zu sein, ist gering.

Des Weiteren ist die Wirksamkeit von Shockvertising umstritten, und das wird vermutlich auch so bleiben. Ich habe bis jetzt noch keine Studie finden können, die wirklich mit Zahlen argumentiert und wissenschaftlichen Mindestanforderungen genügt wie durchdachtem Versuchsverlauf, Kontrollgruppen, Langzeit-Nachverfolgung und so weiter und so fort. Und selbst dann, wenn es einmal Zahlen geben sollte wie in diesem Beispiel von der letztjährigen britischen Anti-Raucher-Kampagne, sind diese ohne jeden Daten-Kontext und damit völlig aussagefrei — was diese »Zahlen« natürlich nicht daran hindert, überall bis zur Bewußtlosigkeit in genau dieser Form zitiert zu werden. Keine Zeitachse, keine Vergleichszahlen zu vorher, nachher und zu anderen Kampagnen, ja nicht einmal der Versuch, dieses »Ergebnis« hinsichtlich jener Zugriffe zu bereinigen, die sich über die Kampagne lediglich beschweren oder angesichts der Berichterstattung in den Medien einen Blick auf die Motive werfen wollten.

Aber das Treffen von Entscheidungen aufgrund skrupulös und liebevoll analysierter Daten geriet ja schon vor geraumer Zeit recht gründlich aus der Mode; Werber entscheiden lieber aus dem Bauch heraus und Kunden nach Geschmack.

Wozu es aber beispielsweise kübelweise Literatur gibt in den Humandisziplinen ist unsere Fähigkeit des Ausblendens all jener Dinge, die uns als unbotmäßig besorgniserregend in Bezug auf uns selbst erscheinen. Dinge, die uns unangenehm sind — und die Forderung nach drastischen Verhaltensänderungen sind unangenehm — befreien sich so gründlich aus unserem Bewußtsein, als hätten sie das bei Houdini gelernt. Insofern würde ich Shockvertising, auch ohne spezifische konkrete Zahlen, generell für problematisch halten, wenn nicht sogar für kontraproduktiv, und das mag sogar ganz besonders Kampagnen gegen das Rauchen und für das Anschnallen betreffen.

Israel, als ein loses eigenes Erfahrungsbeispiel, hatte schon immer ein überproportionales Problem mit Verkehrstoten und Verkehrsunfällen, und mir ist kein Konzept bekannt, das die zuständigen Behörden und Kommunen im Laufe der Zeit nicht ausprobiert hätten. Dazu gehörte das Aufstellen von Dioramen mit Autowrackteilen und aus Stahl gestanzten, blutrot bemalten menschlichen Figuren an unfallintensiven Kreuzungen oder das namentliche Verlesen der Unfallopfer im Radio. Die Fortschritte sind und waren marginal. (Dazu gab es einen Haaretz-Artikel mit Zahlen und Infos, aber die neu eingerichtete Bezahlwand dort hat alle Links zerbrochen. Der Blogpost Guess What: Israelis are Bad Drivers by Laura Chiesa vermittelt jedoch einen Eindruck.)

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