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Die Ästhetische Gesellschaft — Session.Six: Ein Wavetank VideoCast

Wavetank

Note: A good number of years down the road, Tim took our episodes from »Die Ästhetische Gesellschaft« offline from Vimeo, YouTube, iTunes, and Wavetank except the final one.

For historical, archival, and sentimental reasons, though, I’ll leave my posts up as they were originally written, with all the dead links removed. Maybe you will enjoy some of these posts nevertheless!

Siggi, Tim und ich haben die sechste Session unseres VideoCasts »Die Ästhetische Gesellschaft« aufgenommen, auf Vimeo hochgeladen und wie immer mit einem Geleitwort auf Wavetank eingestellt. Allerdings läuft bereits der Upload zur siebten Sitzung und es wird Zeit für mich, endlich blog- und lebenstechnisch eine Sitzung aufzuholen.

Unsere sechste Session: Mit neuer & verbesserter Formel! Woraus besteht unsere neue & verbesserte Formel? Ganz einfach: We took C2H5OH out of the equation! Mit anderen Worten, wir haben unsere Bierchen erst nach der Aufnahme aufgemacht. Mit dem Effekt, daß es die Hektik aus den Argumenten nimmt. Niemand muß mehr befürchten zu vergessen, was er gerade sagen will, und alles wird entspannter.

[Missing Video]

In dieser Session kreist alles um die Frage, wie sich Fortschritt messen läßt und ob es im gesellschaftlichen Fortschritt eine »kleinste Einheit« gibt, eine Art meßbares »Plancksches Wirkungsquantum«. Zu den thematischen Aspekten gehört dabei, wieviel Neues eine Gesellschaft verkraften kann, ohne uns um die Ohren zu fliegen, und ob neben der Größeneinheit auch die Frequenz — also der augenblickliche Innovationstakt — eine Rolle spielt. Hier wiederum nahmen Überlegungen zu einem ausgewogenen Verhältnis von Konsum und Produktion einen großen Raum ein; ein Aspekt, auf den wir ebenso immer wieder zurückkamen wie auf Apples iPad, das in diesem Koordinatensystem von Konsum und Produktion vielleicht stellvertretend für ein solches Quantum steht. Erleben wir zur Zeit (wieder) eine Erhöhung von Produktivschwellen, die Rückkehr zur Institutionalisierung von Produktion und die Rückkehr zur Kulturelite? Erstaunlicherweise fiel nicht ein einziges Mal das Wort »Restauration«, aber das gehört eindeutig in diesen Zusammenhang.

Dazu hinterfragen wir auch die zentralen Begrifflichkeiten unserer Diskussion selbst und ob sie überhaupt sinnvoll sind als Operatoren (und Operanden), oder ob sie uns durch die Kraft der Metapher statt dessen in die Irre führen. Dazu gehört der Begriff »Fortschritt« — sowohl im Kontext des kleinsten möglichen »Fortschrittsquantums« als auch im Kontext unserer historischen Errungenschaften — ebenso wie die unausgesprochene Voraussetzung, daß es das diskutierte »Minimum« bzw. »Quantum« überhaupt gibt und sich gesellschaftlicher Fortschritt in diskreten Schritten abspielt. Dies wiederum brachte uns zu Symbolverdichtungen und Irreversibilität als mögliche Meßgrößen für gesellschaftlichen Fortschritt.

Siggis Mahnung, uns nicht allzusehr in die iPad-Diskussion zu verbeißen (um 80:00), war eigentlich ein prima Schlußwort. Danach kann ohne schlechtes Gewissen mental und sonstwie ausgeblendet werden.

Kulturelle Quanta Session Six
Das Rodney King Beating Videotape, die erwähnte “frame-based” Interpretationsstrategie der Verteidigung (“the defense also used the videotape, examining it frame by frame to bolster its contention that King was resisting arrest and that the violence was necessary to subdue him”) und die juristischen Implikationen.

Anna Karenina von Tolstoy. Das Zitat lautet vollständig in englischer und deutscher Übersetzung: “All happy families resemble one another; each unhappy family is unhappy in its own way.” bzw. »Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.«

“Self-knowledge is always bad news”, ein berühmtes Zitat von John Barth aus mehreren Romanen und Essays.

Die “Somatic Markers Hypothesis” von Antonio Damasio (beispielsweise in Descartes’ Error: Emotion, Reason, and the Human Brain).

If on a Winter’s Night a Traveler als Metaroman (Metafiktion) von Italo Calvino mit der berühmten “The Computer as Author/The Reader as Cyborg”-Passage:

In New York, in the control room, the reader is soldered to the chair at the wrists, with pressure manometers and a stethoscopic belt, her temples beneath their crown of hair held fast by the serpentine wires of the encephalogram that mark the intensity of her concentration and the frequency of stimuli. “All our work depends on the sensitivity of the subject at our disposal for the control tests: and it must, moreover, be a person of strong eyesight and nerves, to be subjected to the uninterrupted reading of novels and variants of novels as they are turned out by the computer. If reading attention reaches certain highs with a certain continuity, the product is viable and can be launched on the market; if attention, on the contrary, relaxes and shifts, the combination is rejected and its elements are broken up and used again in other contexts.” The man in the white smock rips off one encephalogram after another, as if they were pages from a calendar. “Worse and worse,” he says. “Not one novel being produced holds up. Either the programming has to be revised or the reader is not functioning.” I look at the slim face between the blinders and the visor, impassive also because of the earplugs and the chin strap that keeps the jaw from moving. What will her fate be?

Errata
Nicht Blue Gene, sondern Deep Blue (um 35:00).
Nicht falsch, aber präziser: Plancksches Wirkungsquantum statt Plancksche Konstante (um 63:00).

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3 Responses

  1. Mir scheint, dass innerhalb eines Beobachtungszeitraumes ein Interpretationswechsel der Beobachtung erfolgen muss, wenn das Beobachtete zu seinem Beginn neu ist. Etwas Neues ist in seinem Geltungsraum in zahlreichen Qualitäten aus sich selbst heraus diskret; mit poetischeren Worten: Sein Auftreten ist eine Singularität. Doch während des Integrationsprozesses zwischen dem Neuen und dem Bestehenden verliert es diesen Status irgendwann; evtl. dann, wenn es selbst oder seine Wirkung durch allgemeine kulturelle Gesten beschrieben wird oder in diese integriert ist. Die Grenzen gesellschaftlicher Systeme könnten nun dort zu suchen sein, wo diese das neue Artefakt beschreibenden Gesten ihre Eindeutigkeit verlieren. *grübel*

  2. Ich bin nicht sicher, ob ein solches Neues wirklich sui generis (und damit auch als Sui generis oder Singularität) diskret ist, oder ob innerhalb des Beobachtungs(zeit)raumes dessen tatsächliche Kontinuität durch den Beobachtungskontext und die Eigenschaften der Beobachtenden nicht tatsächlich »verdeckt« ist und nach dem Überschreiten der Grenze erst »entdeckt« wird. Das heißt, Deine Gedanken zu dieser Grenze und Deine Beschreibung des Übergangsprozesses als Verlust der Eindeutigkeit von beschreibenden Gesten finde ich einleuchtend und erhellend, würde aber die Eigenschaften der Größen vertauschen wollen: Es ist die Singularität des Neuen, die von den Beobachtenden konstruiert wird.

    »Singularitäten« oder »diskrete« »Ursprünge« sind generell anfällig für das Problem, daß Originalereignisse sich nach deren Inauguration nicht mehr rekonstruieren lassen und »ursprungslos« kontinuierlich oder unter Umständen sogar rekursiv erscheinen, was sich mit Deiner Beschreibung decken würde. Aber eine Reihe von Phänomenen legt die Vermutung nahe, daß dieser »Ursprung« (diskreter Schritt, Singularität) tatsächlich gar nicht stattgefunden haben muß, was sich mit meiner Vertauschung der Eigenschaften decken würde. (Case in Point: Das »Selbst«. Eine geisteswissenschaftliche Metapher für den Ursprung eines solchen Selbst: Freuds Konjektur über den Ursprung der Inzestscheu als Verdrängungsprozeß eines Mordes, der wahrscheinlich gar nicht stattgefunden hat und gar nicht stattgefunden haben muß.)

  3. Ok; Einwand hinsichtlich der Vertauschbarkeit ist völlig berechtigt. Allerdings sollten unterschieden werden zwischen den Phänotypen des Neuen und seinem sich in die Existenz werfen “an sich” (Was ich oben mit einer Singularität meine). Solange in den Grenzen beobachtender Forschung gedacht wird, ergeben sich daraus kaum Konsequenzen (ich gestehe an dieser Stelle aber eine Hausaufgabenlücke); anbetracht unser gemeinsamen Überlegungen hinsichtlich einer (sinnvollen) Mindestgröße von kulturellen Wirkeinheiten, könnte sich dennoch eine Konsequenz auf anderem Feld ergeben: Sind eben sinnvolle (diskrete?) Wirkeinheiten mindestens so groß, dass ihre Differenz als disruptiv wahrgenommen werden kann/könnte, so kann eben auch genau dieser Moment – nun positiv formuliert – als Moment der Schöpfung verstanden werden. Ein Moment den Miles Davis, aber nicht ein LHC-Physiker für sich in Anspruch nehmen kann. Oder? ;-)

    Deinen zweiten Absatz möchte ich etwas erweitern, die Inauguration wirkt so wie wir beide formuliert haben, verkürzt, zweifelsfrei “verwischend”; sie ist der Punkt, an dem das Marketing seine Kraft entfaltet. So wie die Zuordnung zu einer originären Quelle unscharf wird, wird sie steuerbar. Trivial, eigentlich.