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Berliner Aufklärung von Thea Dorn

Berliner Aufklärung von Thea Dorn

Berliner Aufklärung von Thea Dorn

Bisher kannte ich Thea Dorn nur aus ihren exzellenten Interviews im Umfeld der Debatten zur F-Klasse und freute mich auf die Lektüre ihres preisausgezeichneten Erstlingsromans. Aber was für eine Katastrophe.

[Note: Here Be Spoilers.]

Selbst für eine Parodie, so es denn eine sein soll, gibt es keine Rechtfertigung für solch kolossale Schlamperei. Vom sinnfrei zusammengegrabbelten Hintergrund des »Rachemordes« über die spannungs- und charakterfreie Fallentwicklung bis zu den monumental unverdaulichen Dialogen (zum Testen einfach mal laut lesen) kommt einem als Hauptmetapher für schreibtechnische Disziplin, strukturelle Ordnung und parodistisches Potential der Berliner Aufklärung insbesondere die ravioli- und breiverklebte Küche der Protagonistin in den Sinn.

Pointen werden — passend zum penetrant-prominenten Monstermercedes »Hector« — stets mit dem Panzer heimgefahren, und die philosophischen Kapiteltitel machen nur so lange wirklich Spaß, wie sie im Lauf des Lesens nicht ihre weitgehende Beliebigkeit offenbaren: Heideggers Holzwege, wenn die Protagonistin »auf dem Holzweg« ist, markiert hier schon subtile Gipfel.

Dazu gibt es auch und gerade im Rahmen einer Genre-Parodie keine Entschuldigung für das Unterlassen jeglicher Recherche, und auch die Kenntnisse über Ermittlungsprozesse lassen sich mit maximaler Großzügigkeit nicht einmal fragmentarisch nennen. Das macht keinen guten Eindruck. Denn leider gilt auch hier, wie anderswo, daß nur das Gewußte und Beherrschte sich wirklich souverän imitieren, ignorieren oder parodieren läßt. Nicht ganz unschuldig am Gesamteindruck scheint aber auch das entweder unfähige oder abwesende Lektorat zu sein, denn die Berliner Aufklärung frönt auch dem gefürchteten Drang zum Erklären hemmungslos auf jeder Seite und in jedem Absatz, bis wir alle wirklich rand- und restlos aufgeklärt sind selbst über hinterletzte handlungsunverbundene Details — von Hectors Bankkonto über die Colorierung eines Handkäs bis zur Unerklärlichkeit der Herkunft des Diktiergeräts. Mit diesem amateurhaften Drang geht Hand in Hand, daß absolut nichts und niemand jemals textlich vorbereitet wird: alle Dinge und Personen erscheinen auf der »Bühne« exakt in dem Augenblick, in welchem sie benötigt werden, und bedürfen dann rascher Klärung hinsichtlich Herkunft, Vorgeschichte und Funktion.

Überdies, Philosophie zu lesen erfordert nicht zuletzt präzises Lesen, Schreiben über Philosophie präzises Schreiben. Gelesen als anhaltende Attacke der erzählenden Stimme gegen eine von ihr als diffus, pompös und unstrukturiert empfundene nietzscheanische Philosophie erweist die Berliner Aufklärung sich zu diesem philosophischen Strohmann als enervierend unliterarischer Zwilling im Bereich der Unterhaltungsliteratur.

Dorn, Thea. Berliner Aufklärung. München: Goldmann, 2002.
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